Sputnik V - auf dem Umweg ins Ziel?
Die Euphorie der Politik in Deutschland für Sputnik V wirft viele Fragen auf.
Was ist das hier plötzlich für eine Sputnik-Begeisterung in Deutschland?
Mit einem Mal wird der Eindruck erweckt, als könne der Impfstoff Sputnik V aus Russland die Lösung für all unsere Impfprobleme sein und der entscheidende Schritt raus aus der Pandemie werden. Das ist irritierend und verwirrend, wenn man sich die Geschichte rund um den Impfstoff anschaut, und ergibt beim Betrachten der gegenwärtigen Probleme auch wenig Sinn.
Vorausgeschickt: es mag sein, dass Sputnik V ein guter Impfstoff ist. Dafür allerdings müssten die Entwickler endlich einmal transparent und glaubwürdig alle Daten an die EMA senden, damit der Impfstoff ordentlich geprüft und dann eventuell sogar zugelassen werden kann. Solange das nicht erfolgt ist, bleibt Sputnik V mehr Mythos als Realität.
Aber zurück zur deutschen Politik und hin zu Markus Söder. Denn der muss jetzt, da Armin Laschet mit seinem Brücken-Lockdown gerade in den Schlagzeilen ist, schleunigst etwas tun. Und die Sputnik V Offensive soll es nun richten und ihn zurück in den Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit katapultieren. Und, schau her, es scheint zu funktionieren.
Performance-Politiker Markus Söder hat nämlich jetzt großspurig und exklusiv für sich und seine Bayern große Mengen von Sputnik V bestellt. Seinem Vorstoß schließen sich – wenig überraschend – auch schon die ersten Ministerpräsidenten an: Reiner Haseloff, Michael Kretschmer und Manuela Schwesig. Und wenn Super-Söder, der unheimliche Pandemieflüsterer, auf den mittlerweile, so scheint es, alle außer das Virus hören, etwas in Bewegung setzt, dann dauert es nicht lange und auch Gesundheitsminister Immo-Spahn springt mit auf auf den in Fahrt gekommenen Bayern-Express. Denn Spahn kalkuliert wie er das im letzten Jahr schon oft gemacht hat (u.a. mit seiner Villa, mit seinem Kumpel und der Gematik, mit den Masken und den Apothekern) und kommt zu dem Schluss: Wenn München bald in Berlin sein wird, sollte ich statt Nordrhein-Westfalen lieber Bayern...
Kurz, Söder, Spahn und Ostdeutschland sind im Sputnik-Fieber. Und so ein Fieber „steckt an". Deshalb hat sich wohl auch Malu Dreyer gleich zu Wort gemeldet und angemerkt, dass auch sie „den Sieger“ (das V bei Sputnik steht für Victory) will, sich aber einen etwas geordneteren Weg des Bestellens wünscht d.h. über den Bund. Es wird daher nicht mehr lange dauern und alle Ministerpräsidenten in Deutschland werden in den Sputnik-Chor einstimmen, die Impfoffenbarung aus Russland haben wollen und bei dieser schillernden Kampagne mitmachen.
Wir könnten dieses Theater als misslungene Farce ignorieren und abtun. Doch dafür ist das Ablenkungsmanöver leider politisch zu dreist.
Denn die Sputnik V Euphorie ist nun einmal nichts anderes als ein plumpes Ablenkungsmanöver der deutschen Politik vom eigenen Versagen beim Einkauf und bei der Produktion der bereits zugelassenen Impfstoffe, von denen einer sogar direkt aus Deutschland kommt.
Dieses Versagen will man jetzt durch Aktivismus vergessen machen, indem man versucht, uns Sputnik als bahnbrechende Lösung für all unsere Impfprobleme zu verkaufen.
Was abstrus klingt, ist Realität.
Allerdings kann diese Geschichte eigentlich nur ohne Protest hinnehmen, wer sich bis vor ein oder zwei Tagen hinter einer Art Rawlsschem Schleier des Unwissens versteckt hat und das einzige bisschen Wissen über den Stand der Pandemie und die Impfstofflage aus den Artikeln zur Söder-Spahnschen-Sputnik-Offensive bezieht.
Alle anderen sollten sich verwundert die Augen reiben und sich empören, für wie blöd man sie hält?
Denn es ist ja eben nicht so, wie man als Rawlsscher Ignorant annehmen könnte, dass es keine wirksamen Impfstoffe gegen Covid gibt und Sputnik V die einzig verfügbare Impfoption darstellt. Und es ist auch nicht so, dass die Zulassung von Impfstoffen aus Europa und den USA noch aussteht und ungewiss ist. Und nein, auch die Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe ist alles andere als schwach.
Es gibt mit Biontech, ModeRNA, AstraZeneca und Johnson & Johnson bereits vier in der EU und damit auch in Deutschland von der EMA geprüfte und zugelassene Impfstoffe, die alle von sehr hoher Qualität sind. Biontech und ModeRNA sind sogar von herausragender Qualität. Darüber hinaus stehen mit Novavax und Curevac zwei weitere sehr wahrscheinlich hochwertige Impfstoffe kurz vor der Zulassung
Das Problem, mit dem wir gerade konfrontiert sind und von dem abgelenkt werden soll, ist klar: die im Stocken befindliche Impfkampagne. Sputnik V hat aber weder etwas mit dem Problem noch mit der Lösung desselben zu tun, sondern ist eine politische Nebelkerze, die uns die Sicht auf das Offensichtliche nehmen soll.
Wie aber sind wir hier gelandet?
So: Im Sommer und Herbst 2020 hat die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft zu wenig und zu spät Impfstoff bei den oben genannten Firmen eingekauft. Darüber hinaus hat man den notwendigen Auf- und Ausbau der Produktionskapazitäten für die Impfstoffe, der mit der Bestellung hätte einhergehen sollen, verschlafen. Das hat nun dazu geführt, dass es in der EU - im Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Israel - bis heute zu wenig Impfstoff gibt. Deshalb ist das Impftempo langsam und der Unmut in der Bevölkerung groß.
Nun wäre die nächstliegende Reaktion, dass man alles versucht, die Produktionskapazitäten für die bereits zugelassenen Impfstoffe massiv auszubauen. Weitere große Pharmafirmen mit ins Boot zu holen bzw. zu verpflichten, ihre Produktion auf die Impfstoffproduktion umzustellen etc. In einer großen einheitlichen (europäischen, wenn`s nicht klappt, in einer nationalen) Aktion sollte also alles darangesetzt werden, mehr und noch mehr Impfstoffe so schnell wie möglich zu produzieren. Vor allem jene von Biontech und ModeRNA.
Obendrein könnte man probieren, bei Novavax mehr Impfstoff zu bestellen und bei Curevac die Dinge zu beschleunigen. So könnte es gelingen, die bestehenden Probleme der Impfstoffknappheit in der EU zu überwinden und den Impfrückstand mit geprüften und zugelassenen Impfstoffen aufzuholen, um die Bevölkerung in Europa - wie einst anvisiert - bis Ende August durchgeimpft zu haben...
Aber nein, ein solcher Weg wird nicht beschritten und ist, warum auch immer, von der Politik scheinbar nicht gewollt. Ein Weg also, der verlorenes Vertrauen wiederherstellen könnte und der medizinisch verantwortungsvoll, politisch sinnvoll und europäisch umsetzbar wäre.
Stattdessen wendet man jetzt den Blick lieber gen Kreml und bemüht sich in direkten Verhandlungen, den Impfstoff Sputnik V zu kaufen, zu dem es zwar eine Studie im Lancet gab, dessen gesamte Daten aber bis heute nicht transparent und glaubwürdig offengelegt sind, der EMA also nicht vorliegen und den die EMA deshalb in absehbarer Zeit nicht einer ordentlichen Prüfung unterziehen kann. Eine Zulassung ist also sehr ungewiss. Trotzdem will man bei Sputnik V nicht den gleichen Fehler wie in 2020 machen und versucht deshalb jetzt schon, großflächig Produktionskapazitäten für Sputnik V in Deutschland aufzubauen.
Die Absurdität besteht also darin, dass sich Deutschland einen Impfstoff im großen Stile sichern will, dem man selbst in Russland skeptisch gegenüber steht, und der, wie gesagt, in absehbarer Zeit auch keine Zulassung der EMA bekommen wird. Gleichzeitig gibt es zahlreiche sehr gute und bereits von der EMA zugelassene Impfstoffe in Europa, die aber wegen fehlender Produktionskapazitäten in nicht ausreichendem Maße produziert werden.
Politisch interessant und brisant ist zudem, dass Deutschland ausgerechnet jetzt mit Sputnik V den Alleingang macht, den es im Sommer 2020 - angeblich aus Solidarität zu den anderen EU-Ländern - bei der Impfstoffbeschaffung vermieden hat.
Was also ist hier wirklich los? Ist das lediglich das indirekte Eingeständnis der deutschen Politik, dass sie aus ihren Fehlern wirklich gar nichts lernt? Will man dem Deutschen Motto „eine Sache um ihrer selbst willen tun“ einmal mehr gerecht werden? Oder ist die plötzliche Begeisterung für Sputnik V schlicht die Folge einer russischen Kaviarpolitik - die diesmal - anders als die Aserbaidschanische - nicht nur bei der CDU, sondern auch bei der SPD Erfolg zeitigt? Mittlerweile würde nichts mehr überraschen.
Ich bin ratlos, tappe im Dunkeln und warte auf Antworten!
P.S.: Und währenddessen in der Ukraine… wird mal wieder marschiert!