Israel und Palästina - Parolen reichen nicht
Im medialen Diskurs über den Israel-Palästina-Konflikt fehlt historisches Wissen und ein Bewusstsein für die Gründe.
In der letzten Woche haben sich Israel und Palästina eine Kampfrunde geliefert, wie wir sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Dieses Mal mit einer beängstigenden Entwicklung. Die sonst in Grenzgebiete herrschende Spannung dringt jetzt auch in die Städte in Israel. Als Folge sind in den Nachrichten bürgerkriegsähnliche Situationen zu sehen. Jüdisch-extremistische Gangs schlagen und bedrohen israelische Araber auf offener Straße und dagegen erweitern israelisch-arabische Gangs ihren langen Streit mit der Polizei und zielen auch auf Zivilisten, ihre Autos und Gebäude. Die Situation im israelischen Inland soll nicht von der großangelegten Offensive der IDF in Gaza ablenken. Zwar hat Hamas tausende Raketen auf israelische Städte abgeschossen, doch die israelische Gegenreaktion lässt staunen in ihrem Umfang. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung wurden Anfang der Woche zwei große Wohngebäude von der israelischen Luftwaffe zerbombt. Ihre Bewohner wurden vorgewarnt, sind aber jetzt obdachlos. Die Toten und Verletzten Liste auf der palästinensischen Seite verlängert sich jeden Tag, aber auch das israelische Raketenabwehrsystem zeigt zum ersten Mal Lücken, was zu Toten und Verletzten in israelischen Städten führt.
Die Geschwindigkeit der Eskalation sowie der Intensität der Kämpfe lassen auch die Weltgemeinschaft staunen. So unklar ist die Ursache für diesen Krieg, man weiß als “Outsider” nicht mehr wie man zu diesem Konflikt stehen soll. Haben die Palästinenser schon wieder ihren Nachbarn terrorisiert? Zeigt Israel wieder seinen starken Arm im Schatten der USA und Westlicher Interessen?
Eigentlich sind die Ursachen eher prosaisch, trotzdem droht der Konflikt zu einem Wendepunkt zu werden in der sowieso “unerträglichen Alltagsrealität” der Region. Man kann die Ursachen auf einer Pannenserie verorten, ein paar Malheurs, die ein brennendes Feuer vom Abgrund an die Oberfläche gebracht haben.
Seit 12 Jahre wird in Ostjerusalem gegen die Vertreibung palästinensischer Bewohner aus ihren Häusern demonstriert. Diese Immobilien werden systematisch durch einen jüdisch-extremistischen Verein eingekauft und als Folge werden die palästinensischen Bewohner, die teilweise seit Jahrzehnten dort wohnen, verdrängt. Die neu eingezogenen Bewohner sind militante Juden, die die lokale Bevölkerung terrorisieren, und zur Unruhe in einer sowieso angespannten Region anstiften. Ein Ereignis im April hat diese sonst wenig betrachtete Demos in den Nachrichten fortgebracht und traf auf ein riesiges Echo bei Arabern und Juden.
Am 9.4. wurde in einer Demonstration im Scheik Jarah das israelischen Parlamentsmitglied Ofer Cassif von der Polizei geschlagen. Dieser Vorfall hat die Brutalität der Polizei gegenüber arabischen Demonstranten sichtbar gemacht und es kam zu einem großen medialen Echo. Er wurde über Nacht zum Symbol für die Verachtung der Stadt gegenüber ihren arabischen Bewohnern. Es hat auch den 12 Jährigen Ostjerusalem-streit auf die Titelseiten gebracht, wo sonst andere Themen in letzten Jahren dominant waren. Hauptsächlich Wahlkampfthemen.
Im vierten Wahlkampf innerhalb von einem Jahr haben sich im letzten März drei Präzedenzfälle ereignet:
1. Zum ersten Mal seit 20 Jahre kann der inmitten eines Korruptionsprozesses stehende Benjamin Netanjahu keine Regierung bilden.
2. Leider können wahrscheinlich auch die Netanjahu-Gegner keine Regierung bilden. Aber noch wichtiger, beide Seiten sind von einer arabischen Partei abhängig. Die “Raam” Partei unter der Leitung von Mansur Abbas - eigentlich eine islamische Partei, vielleicht auch mit islamistischen Tendenzen - will sich nicht ihren traditionellen platz in der Opposition gefallen lassen. Abbas lässt sich von beiden Seiten was anbieten und in folge des unentschiedenen Wahlkampfs darf er den entscheidenden Faktor spielen.
3. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kamen zum ersten mal Kahanisten in das Parlament. Nämlich die jüdischen Rechtsextremisten, öffentlich rassistisch, antidemokratisch. Deren geistige Vater durfte ab 1988 im Wahlkampf nicht mehr teilnehmen, da seine Meinungen als anti-demokratisch und rassistisch von der Wahlkommission bezeichnet wurden. In einem fast unglaublich zynischen Akt hat am 6.5. der Vorsitzender der frisch gewählten Kahanistenpartei sein Amtsitz nach Ostjerusalem verlegt, genau da wo den Palästinensischen Bewohnern eine Räumung droht.
Derweil auf der anderen Seite der Grenze, kam es für alle Seiten als überraschend als Mahmud Abbas, der Präsident des Westjordanlandes, im Januar einen Wahlkampf angekündigt hat. Der seit 2005 regierende Abbas galt am Anfang als eine große Hoffnung für moderate Israelis, als besonnene Ansprechpartner. Leider wurde diese Hoffnung nicht verwirklicht, und seitdem ist Abbas’s Popularität in Palästina zurückgegangen. Da in Palästina keinen Wahlkampf seit 2006 gab, regiert Abbas de facto autoritär. Die jüngere Generation hat sich gefreut auf die Gelegenheit am Wahlkampf teilzunehmen, und desto größer war ihren Wut als die Wahlen am 26.4. von Abbas abgesagt wurden. Wahrscheinlich auch in Folge eines Israelischen Drucks auf Abbas, und aus Angst vor einem wahrscheinlichen Wahlsieg von Hamas.
Als allerletztes Zündholz galt ein rechter Aufmarsch in Jerusalem am 22.4. sowie die Vorbereitungen auf israelischer Seite für den “Jerusalem-tag” am 10.5. Dieser wird mit einem Umzug in der Hauptstadt gefeiert und bekommt in den letzten Jahren zunehmend einen rechtsextremistischen Ton. Die Polizei hat am 22.4. sehr unterschiedlich auf beide Seiten reagiert. Während jüdische Rechtsextremisten die Stadt terrorisieren dürften, würden die Gegendemos von Palästinensern brutal angegriffen. Ein neuer unerfahrener Polizeichef schien komplett überfordert zu sein und hat die Unterdrückung Arabischer Unruhen mit harter Hand befohlen. Es ist auch unklar, ob die Gegend durch Provokationen von Netanjahu-Anhängern erhitzt wurde, in einem Versuch den Koalitionsverhandlungen von Netanjahu-gegnern zu torpedieren. Auf jeden Fall hat sich eine Kettenreaktion entwickelt, die weit überdimensioniert ist als die Lage in Jerusalem.
In letzten Jahren fühlen sich Israelischen-Araber, näher an die Palästinenser in Gaza und Westjordanland. Ein erheblicher Rechtsruck in der Israelischen Politik treibt auch dazu, indem Rassismus alltäglich wird und sogar ein Teil vom normalen Politischen Diskurs. Die völlig rassistische Ansage “wir werden in keiner Regierung mit Arabern sitzen” ist heute quasi Wahlkampfpflicht für jeden Volkspartei-Vorsitzenden Premierministers werden will. Außerdem werden arabische Bürger in alle Lebensgebieten benachteiligt, bei der Wohnungssuche, bei der Arbeitssuche. Dabei spielen arabische-Israelis eine entscheidende Rolle in der Aufrechterhaltung des stark überlasteten Gesundheitssystems, und viele arbeiten als Bauarbeiter und LKW Fahrer.
Die herablassende Art gegenüber der Arabischstämmigen Bevölkerung, lässt die israelische Politik in keinem schmeichelhaften Licht darstellen. Das ist auch eine Reaktion nach Jahrzehnten von Spannungen mit den Arabischen Nachbarländern. Eine Situation die immer zugespitzt wird durch die Terrorversuche von Seiten der Hamas.
Trotzdem will ich eine andere Zeit beschreiben, als die Situation noch nicht so hoffnungslos aussah. Vielleicht könnte es als Ergänzung zur Medialen Dauer Bombardierung gelten, die sich aufs hier und jetzt konzentriert aber kein historisches Betrachten des Geschehens fördert. Mittlerweile sind die Israeli-Palästinensische Friedensverhandlungen fast 30 Jahre her. Für viele Israeli bedeuten sie einen Irrweg. In Israel ist Oslo-Accord fast ein Schimpfwort, nach Jahre von Anstiftung, Rassismus und “keine-Friedenschancen-Politik” von beiden Seiten. Es war einmal anders!
Im 1993 unterzeichneten Yitzhak Rabin und Yassir Arafat die Oslo-Accord. Einen Friedenspakt nach dem Zwei Länder Prinzip. Es sollten zwei Länder entstehen: Israel in den Grenzen von UN-entscheidungen 242 und 338 und Palästina in Gaza und Westjordanland, mit einer Brücke zur sicheren Übergang zwischen den beiden. Ein zweites Abkommen wurde 1995 erreicht und und sollte unter anderem die Entstehung einer Vereinigten Staat für Juden und Araber verhindern. Von außen betrachtet sah es aus, als ob eine historische Brücke zwischen dem Westen und die muslimische Länder der Nahost gebaut werden könnte. Ein Friedensabkommen mit Jordanien am 1994 hat dieses Gefühl noch verstärkt. Stattdessen, führte Rechtsextremismus auf beiden Seiten zum Desaster. Palästinensische Terroristen haben gelegentlich Selbstmordanschläge in israelische Städte verübt und zerstörten dabei den israelischen Glauben am Friedensprozess. In einem verheerenden Anschlag in Hebron in 1994 hat ein israeli Rechtsextremer Terrorist 29 Menschen ermordet und noch 150 verletzt. Aber das Merkmal dieser Zeit in Israel lag eher im Ideellen Bereich. Wöchentlich haben Rechts Nationalisten unter Führung von Benyamin Netanyahu in Jerusalem demonstriert. In diesen Demos würde zum Mord von Yitzhak Rabin angestiftet, es wurden seine Bilder in SS-uniform verbreitet und Puppen mit seinem Aussehen verbrannt. Am 4.11.1995 wurde Rabin in Tel Aviv ermordet, durch ein Rechtsextremisten.
In den Jahren seit Rabins Mord geschah ein extensiver Wandel in der israelischen Wahrnehmung des Konflikts. Premierminister (von rechten und linken Parteien) wie Peres, Barak, Netanjahu und Ulmert haben den Friedensprozess begraben. Meist durch unbedeutenden und bürokratischen Abkommen die auch kein echten Einfluss auf dem palästinensischen Alltag hatten. Als diese und ihren palästinensischen Counterparts immer wiederholt von Verhandlungen ohne Ergebnisse zurückgekommen waren, hat auch die Bevölkerung die Hoffnung auf Frieden verloren.
Im 2007 nach einem kompletten israelischen Rückzug aus Gaza wurde da Hamas die stärkste Kraft. Kurz danach ist die Organisation von allen Sicherheitsabkommen mit Israel und mit Ägypten ausgetreten. Als Reaktion, und aus Angst vor der weiteren Aufrüstung von Hamas, herrscht seit 2007 ein Israelisches Embargo in Bezug auf den Gazastreifen. Die ägyptische Grenze hat sich nach dem arabischen Frühling im 2011 gelockert aber 2013 mit der Entmachtung von Mursi (und in folge mehreren Waffenschmuggel Aktionen) prompt wieder geschlossen.
Als Resultat existieren heute praktisch eineinhalb Länder zwischen dem Jordanfluss und dem Meer. Israel und das von-Israel-streng-bewachte-Palästina. Israel beschränkt Menschen und Warenverkehr nach und von Gaza. Im Westjordanland ist man zwischen Hammer und Amboss. Zwar wird mit israelische Sicherheitsbehörden koordiniert aber die Angst vor Terror hat dazu geführt dass Israel sich wirtschaftlich aus Westjordanland zurückgezogen hat. Unter diesen Umständen verschwand der Wohlstand, der durch Kooperation in den friedlichen 90ern erreicht wurde. Heutzutage herrscht im Westjordanland eine “Dritte Welt” Wirtschaft, unter schlimmen Lebensbedingungen, und autoritär korrupten Regime. Ein Schockierenden Kontrast zum israelischen Wirtschaftswunder nur ein paar Kilometer westlich.
Diese schwierige Situation bietet eine große Herausforderung für die Weltgemeinschaft. Die Rufe “Freiheit für Palästina” machen schon heute keinen Sinn. Es kann keine Freiheit für Palästina geben, wenn diese Freiheit Raketen auf Tel Aviv verursacht. Genau so Inhaltslos sind die Rufe “Israel darf sich wehren”, Israel darf sich aber nicht vor Israelischen-Araber in die eigenen Grenzen und nicht gegen Palästinenser im annektierten Gaza militärisch wehren. In besonders muss die Europäische Linke sich ein umfassenden Bild vom Israelischen-Palästinensischen Konflikt machen und nicht auf Parolen reinfallen. Nur so lassen sich Menschenrechte auf beiden Seiten bewahren und der Weg zur ruhigen Nahost vorbereiten.
Meiner Meinung nach ist es unvermeidbar, dass das Territorium zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer in der nahen Zukunft als Apartheid-Staat gekennzeichnet wird. Als Erste-Weltökonomie und Amerikanisch-Europäische-Prodigy trägt Israel eine ungewollte Verantwortlichkeit für die Palästinenser. Als nicht ganz freie Nation in der eigenen Autonomie ist Gaza praktisch ein israelischer Slum. Israels Waffenlieferanten, USA, Deutschland usw, tragen diese Verantwortung mit, aber werden es nicht lange mehr machen wollen. Vor Allem in Zeiten wie jetzt, wo eine blitzschnelle Eskalation die sowieso instabile Region weiter destabilisieren könnte. Das wäre auch die endgültige Begrabung der Zwei Staaten Idee. Die Juden und die Palästinenser müssten dann lernen miteinander zu leben. Ohne Grenzen und (hoffentlich) mit Bewahrung von jüdischen Idealen neben Menschenrechte der Palästinenser.
Peace سَلام שלום