Hommage à Thomas Helmer & Doppelpass
Warum der Doppelpass mehr ist als nur ein Fußballtalk und Thomas Helmer ein guter Moderator
Der 34. Spieltag am Samstag beendete nicht nur die 58. Bundesliga-Spielzeit. Mit ihm endete auch die Ära von Thomas Helmer als Moderator vom Doppelpass bei Sport1.
Den Doppelpass kenne ich noch aus der Zeit mit Jörg Wontorra. Damals aber war das für mich nicht mehr als dieser komische Fußball-Talk, den sich der Vater von einem Kumpel vom Hof jeden Sonntag schön auf der Couch sitzend reingezogen hat.
Aus dem Augenwinkel habe ich dann, wenn ich bei meinem Kumpel zu Besuch war, auf den Fernseher geschielt und gesehen, wie diese Männerrunde bei Bier und ausgelassner Sonntagsstimmung über die Spiele des Spieltags quatschte.
Viele der ehemaligen Spieler, die damals als Experten in der Runde saßen, sagten mir nichts. Nur Jörg Wontorra, den Moderator, kannte ich natürlich. War er doch auch Moderator von ran bei Sat1. Und das schaute ich damals selbstverständlich regelmäßig und freute mich immer, wenn Werner Hansch eine Spielzusammenfassung kommentierte. Zwischen den Zusammenfassungen gab es dann oftmals Jörg Wontorra, der entspannt von einem zum nächsten Spiel überleitete und ab und zu auch mal einen Werbeblock ankündigte.
Und dem Jörg Wontorra begegnete ich in unregelmäßigen Abständen auch am Sonntag ab 11 Uhr, wenn ich bei meinem Kumpel zu Besuch war. Wontorra strahlte auf mich mit seiner Art, seiner rauen Stimme und seinem verrauchten Lachen immer die Gemütlichkeit eines kultivierten Proleten (das meine ich im besten Sinne!) aus, was mich faszinierte und geheimnisvoll anzog. Natürlich hätte ich das damals nicht so formulieren können. Aber ich spürte diese ungezwungene Gemütlichkeit, die von dieser Runde ausging, sofort. Denn dort debattierte man, war emotional voll dabei und am Ende war doch - auch hier im besten Sinne - irgendwie alles egal.
Trotzdem kehrte ich zum Doppelpass später nicht zurück. Das lag wohl auch daran, dass ihn niemand in meinem Umfeld mehr schaute und die einzigen, die ihn kannten, eine entschieden abfällige Meinung über ihn hatten. Kurz, er hatte den Ruf, reine geistlose Zeitverschwendung zu sein. Im Sinne von: Wer den kuckt, kann sich gleich auch noch die BILD abonnieren und auf den Musikantenstadl hinfiebern.
Das erklärt vielleicht, warum ich den Doppelpass erst verdrängt und dann irgendwann vergessen hatte. Dann aber vor ungefähr einem Jahr mit Corona und noch mehr bei YouTube verbrachter Zeit schlug mir der Algorithmus eines Tages, warum auch immer, den Doppelpass vor.
Ich klickte drauf und schaute rein. Zum ersten Mal nicht nur aus dem Augenwinkel und mit den Augen und dem Verstand eines 10-jährigen.
Erstaunlicherweise stellte sich sehr schnell dasselbe Gefühl ein, an das ich mich von damals noch erinnern konnte. Ich will nicht sagen, dass der Doppelpass einen Mini-Madeleine Effekt entfaltet hat. Aber, irgendwie ein bisschen schon.
Dieses Format, merkte ich, unterhielt und entspannte mich gleichermaßen. Es machte einfach Spaß. Und so ist es nicht überraschend, dass ich auch am nächsten Spieltag wieder darauf wartete, dass der Doppelpass in meinem YouTube Feed auftauchen würde. Auf YouTube ist Verlass und so tauchte die Empfehlung am nächsten Sonntagnachmittag auch gleich auf.
Draufgeklickt und los ging’s.
So ist es seitdem an jedem Sonntag. Sobald ich am Sonntagnachmittag oder -abend zu YouTube gehe, wird mir sofort der Doppelpass vorschlagen.
Ich weiß nicht, wie die meisten anderen Zuschauer (ich vermute, dass es mehrheitlich Zuschauer sind) sich den Doppelpass anschauen: live? Aufgenommen? Auf YouTube? In einem Stück? In Episoden?
Ich gehöre auf jeden Fall zu letzteren. Die Sendung teile ich mir in kleine zufällig lange Episoden ein. Immer wenn ich etwas entspannt für nebenbei brauche, schaue ich mir den Doppelpass an. So zehre ich über ein paar Tage von einer Sendung und verkürze mir die Zeit zur nächsten.
Jörg Wontorra ist natürlich längst Geschichte. 2015, wie ich irgendwann mal nachgelesen habe, hat er mit dem Moderieren des Doppelpass aufgehört und übernommen hat Thomas Helmer. Ehemaliger Fußball-Spieler u.a. beim FC Bayern. Im Gegensatz zu Wontorra also ein Mann, um es überspitzt zu formulieren, der weiß, wovon er spricht. Auch wenn Hans Meyer das in der vorletzten Sendung ob einer Anmerkung von Helmer in schönstem Thüringsch entsetzt in Frage gestellt hat: „Was? Das sagst du als Fußballer?“
Ja, dieser Thomas Helmer hört jetzt auf. Am letzten Sonntag moderierte er seine letzte Doppelpass Sendung. Und das finde ich sehr schade!
Denn ich muss sagen, dass ich Thomas Helmer über die Monate sehr zu schätzen gelernt habe. Für viele aus der Doppelpass-Community, die ich mittlerweile durch die Kommentare unter den Videos gut kennengelernt habe, wird diese Aussage wohl ziemlich überraschend kommen. Die meisten mögen „den Helmer“, wie sie ihn nennen, nämlich gar nicht. Ständig wird über ihn gemeckert, hergezogen und sich lustig gemacht.
Der Vorwurf, der ihm am häufigsten gemacht wird, ist, dass er seine Gäste nicht ausreden lässt, ihnen ständig ins Wort fällt und damit die besten Pointen vermasselt.
Außerdem werfen sie ihm ab und zu auch Blödheit vor. Und selten gibts dann noch den Vorwurf, dass er zu energielos bei der Sache ist.
Wie gesagt, habe ich die Art von Thomas Helmer zu moderieren immer sehr gern gemocht. Ich empfinde ihn nicht als energielos, sondern als sehr entspannt. Er lässt das Ganze auf eine sehr angenehme Art vor sich hin plätschern und moderiert den Talk unaufgeregt von Thema zu Thema.
Die Atmosphäre, die sich einstellt, ist locker und genau so, wie man sie sich für einen Fußballtalk am Sonntagvormittag mit Spielszenen-Analysen, den neuesten Gerüchten und Spekulationen rund um Transfers und Intrigen bei den Vereinen und Experten-Prognosen, die sich nicht zu sehr mit der Zukunft abstimmen müssen, da sie niemand später mit der Wirklichkeit abgleichen wird, wünscht.
Helmers Ruhe, die von vielen als Schlaffheit empfunden wird, hat mich von Beginn an fasziniert. Denn sie ist der helmersche Zauber, der die beschriebene Doppelpass Atmosphäre erst möglich macht und ihr gleichzeitig eine ganz bestimmte Eigenheit verleiht.
Thomas Helmer unterscheidet sich vermeintlich stark von Jörg Wontorra. Und wer an Wontorra und seine burschikose, alte Stammkneipen-Kumpel-Art gewöhnt war, auf den kann Helmer wirklich erst einmal etwas fad wirken. Bei genauem Hinschauen aber ist der Unterschied zwischen beiden nicht so groß, da die Atmosphäre, die beide kreieren, ähnlicher ist als der oberflächliche Blick anfangs vermuten lässt.
Bei beiden hat man das gewünschte und gewohnte Fußballstammtisch-Gefühl, das das ausgelassene Gespräch erst möglich macht.
Der Unterschied zwischen beiden ist nur: bei Wontorra sitzt man halt gefühlt in einer Raucherkneipe. Und bei Helmer gibts schon seit längerem Rauchverbot.
Übertragen auf das Bier entspricht dieser Vergleich wahrscheinlich sogar der Doppelpass Bier-Realität. Wird heutzutage in der Sendung alkoholfreies serviert, kann ich mir gut vorstellen, dass es zu Wontorras Zeiten für Gäste noch „richtiges“ Bier gab - vielleicht beim einen oder anderen alkoholtechnisch durch einen extra Schuss sogar noch ein bisschen hochgeschraubt.
Über die Monate habe ich mich nun, wie gesagt, auf diese helmersche Sonntagsatmosphäre gefreut. Gekonnt stellt er stets ein gutes Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Talk-Teilnehmern her - den zwei Sport1-Experten, den zwei eingeladenen Sportjournalisten und den zwei Ex-Profis bzw. Funktionären.
Dabei ist die Vielfalt der Gäste durchaus größer als das Vorurteil glauben lassen will und reicht vom arroganten Bild-Reporter über den idealistischen Sportfunktionär bis hin zum Fußball-Intellektuellen Marcel Reif und Berufsproleten Mario Basler. Unbeirrt dirigiert Thomas Helmer diese Runden, lässt die Gespräche unverkrampft laufen und quatscht auch mal dazwischen, wie es sich für ein normales, natürliches Gespräch gehört.
All das öffnet erst den Raum für authentische Rededuelle mit Hans Meyer. Für Klartext von Peter Neururer. Für vermeintlich rassistische Eskapaden von Steffen Freund und Marcel Reif. Für Blödsinn von Jens Lehmann. Für kleine Manager-Weisheiten von Karl-Heinz Rummenigge. Und für derb amüsante Sprüche von Mario Basler, die ohne Richtung oft das Ziel treffen und manchmal auch verfehlen.
In keiner anderen TV-Runde wird so natürlich, ja fast schon privat gequatscht wie beim Doppelpass. Das macht Überraschungen eben auch erst möglich. Und der Doppelpass ist zudem - das fällt den wenigsten auf - die einzige Runde im medialen Raum, in der sich Menschen mit sehr unterschiedlichen Bildungsabschlüssen regelmäßig begegnen und auf Augenhöhe miteinander sprechen. Schnell wird klar, dass man hier mit Vorurteilen alla „Akademiker gleich klug“, „Fußballer gleich dumm“ usw. nicht weit kommt.
Der Anteil an Blödsinn und Weisheiten, den die Beteiligten von sich geben, ist sehr gleich verteilt. Zugegeben, Marcel Reif schmückt seine Sätze zwar stets mit manierierten Handgesten und Kopfschütteln aus, aber auch das hemmt niemanden in der Runde, ihm regelmäßig mächtig zu widersprechen.
Falsche Ehrfurcht gibts beim Doppelpass nicht. Und das macht ihn so lebendig, so authentisch und so unterhaltsam.
Wer den Doppelpass dann noch bei YouTube schaut, kommt in den Genuss, die Doppelpass-Community kennenzulernen. Ist man ein paar Mal durch die Kommentare gescrollt, wird klar, dass es hier einen ganz bestimmten Tonfall, allgemein bekannte Insider und immer wiederkehrende Themen gibt z.B. der Moderationsstil von Thomas Helmer, die Socken von Marcel Reif oder die Antipathie gegenüber allen Bild-Journalisten.
Außerdem sind die Stimmen unter den Kommentaren so vielfältig wie die Runde selbst: die einen derb und direkt, andere ironisch, eloquent, pointiert und nuanciert.
Kurz, irgendwann hält’s einen selbst nicht mehr und man macht mit.
Der Doppelpass ist ein eigenes in sich abgeschlossenes Erlebnis und besitzt eine Erlebnisvielschichtigkeit, die die wenigsten so erwarten würden.
Einen großen Anteil daran hat Thomas Helmer. Period.
Es wird spannend sein, zu sehen, wie sich Florian König als neuer Moderator in der nächsten Saison schlagen wird - ob er problemlos an Thomas Helmer anschließen kann oder ob es doch plötzlich wehmütige Kommentare geben wird, die sich „den Helmer“ zurückwünschen.
P.S.:
Und enden kann ich natürlich nicht, ohne eine kurze Episode aus der letzten Doppelpass Sendung erwähnt zu haben, die den Spaß und die Dynamik zwischen Talk und YouTube Kommentaren beispielhaft konkretisiert.
Ich spreche von dem Moment, als Frank Baumann, Manager von Werder Bremen, zu Stefan Effenberg ironisch sagt, er sei ja „auch mal ein ganz ordentlicher Spieler“ gewesen. Worauf sich Stefan Effenberg vollkommen ironiefrei empört, dass man ihn hier einfach einen „ordentlichen Spieler“ nennt. Ordentlich sei vielleicht Baumann gewesen, er, Stefan Effenberg, sei weitaus besser als „ordentlich“ gewesen (Hier nachzuschauen, dauert 2 Minuten).
Diese Szene hat die Kommentare natürlich dominiert und auch ich konnte mir nicht verkneifen selbst einen zu verfassen. Die Reaktion auf meinen Kommentar vermittelt einen guten Eindruck, wie die Doppelpass-Community tickt und warum ich sie mit der Zeit sehr lieb gewonnen habe.
Ich schrieb also folgendes:
„Verstehe Effenberg total. Messi hat über die Jahre in zahlreichen Interviews von Effenberg als großem Vorbild gesprochen.“
Und ich bekam folgende Antworten:
„Auch Ronaldo, Neymar, Kane, Mbappe, Xavi, Pirlo und alle anderen Weltklasse-Spieler der letzten 20 Jahre haben stets betont, dass Effenberg ihr absolutes Idol war. Schneller als der Wind, mit den besten Dribbler-Fähigkeiten aller Zeiten ausgestattet und an Torgefährlichkeit nicht zu übertreffen, war Effenberg der kompletteste Spieler aller Zeiten.
Milimetergenaue 60m Pässe beherrschte er genauso perfekt wie messerscharfe Tacklings, die ihn jeden Zweikampf gewinnen liessen. Und sein Kopfball-Spiel erst, so etwas hat man danach nie wieder gesehen. Seine aussergewöhnliche Intelligenz, seine absolute Stil- und Geschmackssicherheit, sein Humorverständnis (gerade wenn es um Ironie geht.....), sein Aussehen, das Schicksal hat Effenberg reichlich beschenkt. Der perfekte Mensch eigentlich…“
„Und nicht zu vergessen, ein großer womanizer vor dem Herrn. Strunz konnte gar nicht so schnell grätschen, wie Effe seine Frau tackelte.“
„Vollidiot.“
„Fritz Walter wusste 54 schon, dass Effenberg der beste Fußballer der Welt sein wird..“
Ich wünsche eine schöne Sommerpause!